Sind holzgenagelte Handmacherschuhe eine sinnvolle Alternative?

  • Anfängerfrage: Sind holzgenagelte Handmacherschuhe eine sinnvolle Alternative im Preissegment zwischen 200 und 400 €?

    Hallo Urban,

    Ich befasse mich seit Oktober letzten Jahres mit dem Thema „höherwertige Schuhe“. Ich hatte mir dann im Internet als Versuch mal rahmengenähte Schuhe bestellt und dabei festgestellt, dass die Passform nicht richtig funktionierte. Die Schuhe habe ich dann zurückgesandt. Daraufhin habe ich mit meinem Sohn mal meine Füße vermessen und dabei festgestellt, dass mein linker Fuß 1 cm größer ist als mein rechter. Anschließend bin ich zum Orthopäden, der einen Senk-Spreizfuß diagnostiziert hat. Ich trage daher seit ca. 2 Monaten Einlagen. Übungen bringen in meinem Alter (bin über 50!) laut Aussagen des Arztes nichts mehr. Das ist eher etwas für junge Leute so um die 20!

    Zum einen habe ich lange Einlagen für Bequemschuhe und zum anderen 3/4 Einlagen für elegante Schuhe bekommen. Laut Aussage des Orthopädieschumachers, der die Einlagen gebaut hat, benötige ich Größe 45 und Weite H, dabei breiter Vorfuß und schmale Ferse. Ich hatte ihn auch auf das Thema Zurichtung angesprochen. Hierzu meinte er, dass ich erst einmal Erfahrungen mit den Einlagen in verschiedenen Schuhen sammeln sollte. Eine Zurichtung wäre ein erheblicher Eingriff in den Schuh und das sollte man sich genau überlegen, ob man das tatsächlich machen wollte. Die Einlagen habe ich jeweils mit einer Lederdecksohle erstellen lassen.

    Ach ja, die Broschüre „Wie finde ich den passenden Schuh?“ von der Initiative Passender Schuh hatte ich mir auch inzwischen besorgt. Die wichtigste Erkenntnis daraus, wenn ein Schuh in der Breite nicht passt, dann anderer Leisten, andere Weite und nicht andere Länge!

    Bei den Bequemschuhen bin ich in ein darauf spezialisiertes Schuhgeschäft gegangen, bei denen grdsl. die Marken Ganter, FinnComfort und Waldläufer in Frage kamen. Allerdings passten mir - breiter Vorfuß, schmale Ferse- nur Waldläufer.
    Ich habe einen Schuh in 10,5 und einen in 11, beide Weite H. Allerdings habe ich mit meinem kleinen Zeh ein Problem mit dem Schuh in 10,5. Daher habe ich schon bei meinem Schuhmachermeister diesen Schuh weiten lasse. Das half nur bedingt. Na ja, das war das Thema Bequemschuhe.

    Ich bin aber weiter auf der Suche nach höherwertigen, eleganteren Schuhe.
    Bisher habe ich auf Anraten meines Schumachermeisters, der übrigens keine Konfektionsschuhe verkauft, Primeshoes in einem anderen Fachgeschäft ausprobiert (dabei die beiden weiten Leisten). Bei beiden weiten Leisten merke ich noch meinen kleinen Zeh deutlich.
    Nächster Versuch (in einem anderen Fachgeschäft) waren Dinkelacker, Serie Genf in Weite H. Auch hierbei war der kleine Zeh noch zu merken. Allerdings würde die größere Weite J nach Aussage der Verkäuferin für meinen Fuß, insbesondere bei der Ferse, viel zu weit sein.

    Daher bin ich weiter auf der Suche nach Weite H in eleganten Schuhen.

    Dann bin ich bei einem anderen Schuhmachermeister gewesen, der Handmacherschuhe verkauft. Das könnte bei mir in der weitesten Breite funktionieren. Hierbei besteht auch die Möglichkeit, die unterschiedlichen Fußlängen zu berücksichtigen. Zudem besteht die Möglichkeit, die Ferse höher zu arbeiten, so dass keine Gefahr des „Herausschlappens“ aufgrund der Einlage besteht.
    Der Schumacher zeigte mir auch einen Blake Rapid von Gravati. Der fühlte sich vom Leder her toll an. Bei diesem Schuh schlappte ich allerdings wegen der Einlage in der Ferse raus.

    Hier meine Fragen:

    Was hältst Du grundsätzlich von holzgenagelten Schuhen?
    Wie ist Deine Einstellung zu Handmacher Schuhen? Es gibt eine Serie Klassik und auch Primus?
    Hast Du noch einen Tipp für Blake Rapid Schuhe mit Leisten für schmale Ferse und breiten Vorfuß, Weite H, Preislage 200 bis 400 €?
    Bringen Blake Rapid, rahmengenähte oder holzgenagelte Schuhe überhaupt etwas beim Gehkomfort, wenn sich Einlagen in den Schuhen befinden?

    Ich habe bei meinen Entscheidungen keine Eile. Grundsätzlich möchte ich mir in den nächsten 3 Jahren einige Paare höherwertige Schuhe kaufen und diese möglichst für den Rest meines Lebens nutzen. Allerdings muss ich auch eine Familie ernähren, möchte in Urlaub fahren und muss noch mein Haus abbezahlen. Insofern finde ich deine Vorschläge für die besten 10 Schuhe höchst interessant, zögere aber in dieses Segment zu investieren. Für dieses Preissegment fehlt auch in meiner Familie die Akzeptanz.

    Das wichtigste Argument für den Schuhkauf ist bei mir die Passform. Die Machart ist zweitrangig. Deine Ausführungen lassen mich zu einer leichten Tendenz zu Blake Rapid neigen. Allerdings bin ich mir unklar, ob man die bessere Flexibilität beim Gehkomfort wegen der Einlagen überhaupt merkt. Die Leder sind drittrangig. Na ja und der Preis spielt natürlich auch eine Rolle.

    Vielen Dank für Deine Antworten

    Wodo

    P.S. Ich hoffe, dass diese Fragen nicht zu profan für dieses professionelle Forum sind!

  • Nein, absolut nicht zu profan sondern das genaue Gegenteil: sehr interessant!

    Mit holzgenagelten Schuhen habe ich keine eigenen praktischen Erfahrungen, denn ich halte diese Machart für antiquiert oder überholt, da man früher Schuhe genagelt hat,
    um sie günstig herstellen zu können und damit sie möglichst lange halten.
    Handmacher-Schuhe kenne ich nur vom Mitlesen - da gab es mal einen eifrigen Promoter....
    Da ich sie noch nicht in der Hand hielt und mir anschauen konnte, kann ich also nichts zu diesen Schuhen sagen.

    Die Machart und Ausführung der benötigten Schuhe sollte vollkommen in den Hintergrund treten, zumal man bei solchen Einlagen den Unterschied kaum bemerken kann.
    Um verschieden große Schuhe zum recht günstigen Preis zu bekommen, würde ich auf das Angebot von Ambiorix :read: http://www.ambiorix.be/de
    oder einem anderen Anbieter von echten made-to-order-Schuhen verweisen wollen.
    Diese bieten den Kunden pro Fuß verschiedene Leisten und Weiten an, so dass man also für jeden Fuß den bestsitzenden Schuh auswählen kann.
    In der Schweiz gibt es auch ein Firma, Name leider adhoc nicht präsent, die ein solches System basierend auf Serienleisten anbietet.
    Ladage und Oelke in Hamburg sollte auch dazu imstande sein, da sie mit einem italienischen Anbieter arbeiten - dazu gibt es auch einen kurzen Bericht im Forum.

    Die Zurichtung:
    Bester Ansprechpartner dafür wäre Davor Krivak, denn das ist sein Metier!

    Als Nichtschuhmacher würde ich dazu raten prüfen zu lassen inwieweit man das Fußgewölbe nicht durch fest eingeklebte Pelotten und Formteile in dem jeweiligen Schuh
    stützen kann - sofern Serienschuhe (schon) vorhanden sind.
    Zurichten im Sinne von Weiten oder Schrumpfen des Schaftes sind natürlich abzulehnen, da hat der Schuhmacher Recht gehabt.
    Voraussetzung für eine Zurichtung in diesem Sinne sind natürlich Schuhe, die bereits recht gut sitzen und von einem Schuhmacher mit orthopädischer Erfahrung nur noch exakt
    an die beiden Füße angepasst werden müssen.

    Zum Schluss:
    Die Weitenangabe "H" ist ein recht theoretisches Maß, falls überhaupt - da alle Hersteller verschiedene Leistenformen benutzen, denn sonst würden
    die Leistenhersteller irgendwann arbeitslos, interpretiert jeder diese Weiten- bzw. Fußumfangangabe etwas anders.
    Es ist also anzuraten auch andere Weiten anzuprobieren - dazu würde ich wie gesagt einen Anbieter von MTO-Schuhen, auch Baukastensystem genannt, besuchen,
    idealerweise einen Orthopädieschuhmacher, der auch solche Schuhe verkauft.
    Beispiel:
    Krisam & Wittling, die Serie 2 "Konfektions Maßschuh", die Machart ist Goodyear Welted Primestitched, ein Paar - Ambiorix? - davon sollte in Deiner Preisskala liegen
    :read: http://krisam.de/krisam-und-wittling/home/

  • Kleiner Nachtrag:
    Ich würde trotzdem die Fußgymnastik durchführen und austesten was sie bringt, denn wenn die Füße auf der starren Einlage gebettet werden, dann entwickeln sich Sehnen,
    Bänder und Muskeln garantiert nicht weiter sondern 'verkümmern' immer mehr, da die Stimulanz ausbleibt.

    Obwohl das größte Problem die Verfügbarkeit 2 verschieden großer und weiter Schuhe ist, würde ich dabei ein besonderes Augenmerk auf Schuhe richten,
    die über dem Gelenk stark eingezogen sind und so der Schaft das Fußgewölbe stützt - diese müssen nicht so stark modifiziert werden wie andere Schuhe (-formen).
    Gerade in dem zitierten Thread finden sich Schuhe mit diesem Merkmal.
    Vielleicht würden diese auch unterstützt durch Fußgymnastik tragbar werden ohne überhaupt Einlagen benutzen zu müssen.

  • Vielen Dank für die Antworten.
    Was ist mit zitiertem Thread gemeint? (Ambiorix oder Krisam?)

    Ich habe heute eine Mail von Handmacher zu den Lederqualitäten erhalten:
    "Klassic Serie: Fassgefärbtes Kalbleder mit Deckfarbenzurichtung.
    Primus Serie: nicht durchgefärbtes Kalbleder mit Anilin Zurichtung (klassisches Boxcalfleder)".

    In beiden Fällen handelt es sich aus meiner Sicht damit um nicht durchgefärbte Leder. Höhere Qualität bietet doch durchgefärbtes Anilinleder oder nicht?

    Viele Grüße
    Wodo

  • Der zitierte Thread ist der über:
    Die 10 besten Herrenschuhe der Welt - hier: Serienschuhe - ready-to-wear RTW :read: http://www.bestofbest-mode.com/showthread.php…ady-to-wear-RTW
    Diese Schuhe starten regulär bei ca. 750.- €.

    Zum Leder:
    Das fassgefärbte Leder ist wohl durchgefärbt aber der Narben, die Oberfläche, wird mit einer deckenden Farbschicht versehen, um eventuelle Fehler zu überdecken;
    dieses Leder ist das vielzitierte deckgefärbte Leder.
    Beim Leder der Primusserie bekommt das Leder keinen Farbengang in der Trommel, bleibt also hellbraun; bei der abschließenden Zurichtung bleibt der Narben, die Poren,
    vollständig sichtbar und es wird nur ganz wenig Lasur aufgebracht, um die Poren zu betonen - ob die finale Farbe des Leders durch den Schuhhersteller oder
    bereits in der Gerberei aufgetragen wird, lässt diese Bezeichnung offen.
    Dieses Leder bietet dem Schuhfabrikanten den Vorteil, dass er größere Ledermengen zum besseren Preis einkaufen kann, man nennt dies auch Mengenrabatt,
    ohne sich von vorneherein auf eine oder mehrere Farben festlegen zu müssen, was das Leder zusätzlich verteuern würde.

    Durchgefärbtes Anilinleder ist ein typischer Internet-foren-blog-ausdruck, der immer wieder als Synonym für besonders hochwertiges Leder gebraucht wird,
    aber andererseits schwärmen dessen Fans von den herrlich bunten Schuhen gar so manchen Herstellers.
    Ob durchgefärbt oder nicht - das Leder an sich bleibt dasselbe, nur einmal ist es einmal nach dem Gerben an sich komplett mit Farbe getränkt worden und
    das andere Mal wird das Leder beim Schuhemachen von Hand, womöglich nach Kundenwunsch oder -vorgabe, gefärbt.
    Dies bietet den Vorteil, dass die Schuhe später wieder abgebeizt und neu eingefärbt werden können.

    Durchgefärbtes Leder weist natürlich den Vorteil auf, dass bei Kratzern oder anderen Oberflächenbeschädigungen kein großer Farbunterschied sichtbar wird;
    zwischen Oberfläche und darunterliegenden Lederschichten besteht grundsätzlich kein großer Farbunterschied, ein kleiner dagegen sehr wohl,
    da die Lederoberfläche (Narben, Poren) leicht mit Farbe zugerichtet wird.

    Die finale Lederqualität, erst recht im Zustand verarbeitet zu Schuhen, hängt von sehr viel mehr Faktoren ab wie nur die Bezeichnung der Lederart,
    der Gerbung, des Lederspaltes, der Färbung und der Zurichtung!
    Beispiel:
    Einmal kostet ein Paar rahmengenähte (Serien-) Schuhe so um die 200.- € und ein anderes Paar aus dem oben zitierten Thread rd. 1.000 € und mehr.

    Es muss doch jemand wirklich hirngedopt sein, der annimmt, das Boxcalf-Leder wäre auch nur annähernd dasselbe!
    Ein gleiches, also ähnliches, könnte es im weitesten Sinne schon sein... bei überaus wohlwollender Betrachtung à la Internet- oder Schuhhändler-Geplauder. :2 laughers:

    Irgendwo muss doch der überaus günstige Preis der Schuhe herrühren - wer glaubt das wäre bloß eine Frage der (Händler-) Kalkulation, muss wohl zugedrönt sein!

    YOU GET WHAT YOU PAY FOR - DAS PLV IST IMMER GLEICH!

  • Ich sag's mal einfach:
    Wenn es nicht gerade ein einfaches, dünnes, deckgefärbtes Leder ist, dann würde ich mir darum keine weiteren Gedanken machen, denn selten sieht man,
    dass das Schaftleder eines Schuhes kaputt ging und das der Grund für seine Ausmusterung war.:wink:

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